Februar 1945 - der furchtbare Krieg, der von den Deutschen in fast allen Ländern Europas geführt wurde, kam ins eigene Land zurück. Ost- und Westfront rückten näher. Täglich gab es Luftangriffe feindlicher Bombenverbände, die sich nicht nur auf wirtschaftliche und militärische Ziele, sondern auch auf Wohngebiete einfacher Bürger richteten. Es gab kaum noch eine Luftabwehr, und so wurden auch tagsüber Angriffe geflogen.
In dem kleinen Dorf Lunzig glaubte wohl keiner der etwa 200 Einwohner an einen Luftangriff, welche Gründe sollte es hierfür wohl geben? So hielt sich bei Fliegeralarm jeder in seinem Haus auf, nur wenige gingen in schützende Keller.
Am 22. Februar geschah jedoch das unfassbare. Gegen Mittag gab es Luftalarm, feindliche Bomberverbände überflogen unser Gebiet. Ein einzelnes Flugzeug zog noch einige Kreise und warf dann eine todbringende Ladung ab. 9 Sprengbomben fielen auf den oberen Ortsteil von Lunzig und eine gewaltige Detonation folgte. Getroffen wurde die Gaststätte »Zur Linde«, wo der größte Teil des Hauses zerstört wurde und die Schmiede, von der nur noch ein Schutthaufen übrig blieb. Alle umliegenden Häuser hatten größere Schäden. Die Dächerwaren abgedeckt, Türen eingedrückt und die Fensterscheiben zersplittert. Der kleine Turm, Rest der früheren Jacobikapelle, der sich am oberen Ende der Schlossmauer befand, war zerstört. Auch die 1000jährige Linde mit ihrem gewaltigen Stamm, der hohl war und schon viele Risse hatte, zerbrach. Dieser Baum war einmal das besondere Wahrzeichen des Ortes.
Meine Großeltern erzählten oft von dem furchtbaren Geschehen. Die Schilderungen sind für mich unvergesslich. So soll hier an das Schicksal der Bewohner in den getroffenen Häusern noch einmal erinnert werden:
In der Gaststätte »Zur Linde« wohnte der Bürgermeister und Gastwirt Edwin Geiler mit seiner Familie. Hier könnte sich folgendes zugetragen haben. Es war Mittagszeit und man hielt sich im Gastraum und Küche auf. Da Luftalarm war, brachte Schwiegertochter Anni ihren wenige Wochen alten Sohn in den Keller. Sie ging dann wieder nach oben, um wahrscheinlich ihre 5 Jahre alte Tochter noch zu holen -da geschah das unfassbare. Alle Hausbewohner fanden den Tod, der Gastwirt, seine Frau, Tochter, Schwiegertochter und zwei Enkelkinder. Nur der kleine Bernd Geiler überlebte im schützenden Steingewölbekeller, der dem Einschlag standhielt. Hugo Funke, ein Bauer aus Waltersdorf, der wohl ein Pferd kaufen wollte, war zu dieser Zeit in der Gastwirtschaft eingekehrt und stand wahrscheinlich mit Gastwirt Edwin Geiler in der Haustür. Beide wurden erst einige Tage später tot unter den Trümmern des Nachbarhauses auf der anderen Straßenseite gefunden, die Haustür lag bei ihnen.
Beim Dorfschmied Albin Hempel war die Tochter zu Besuch. Sie hatte großes Glück, Sie entkam den Trümmerns des einstürzenden Hauses. Ihre Eltern fanden unter dem zusammenstürzenden Haus den Tod. Die Schmiede, für die Landwirtschaft ein wichtiges Handwerk, bestand nicht mehr, ein Volltreffer hatte sie zerstört. Im Hause wohnte noch eine deutschstämmige Familie. Die Mutter war mit ihren drei Söhnen aus Kroatien geflohen. Beim Bombenangriff kam sie und ihr ältester Sohn ums Leben. Die beiden jüngeren Kinder wurden gerettet, sie steckten unter einem großen Tisch, der den Trümmern des Hauses standhielt.
Der obere Ortsteil (Dorfplatz) am 22.2.1945 völlig zerstört. Sig. M. Güther
Nach der Bombardierung bot sich ein furchtbares Bild. Sofort kamen viele Lunziger mit Hacke und Schaufel zur Unglücksstelle, um zu helfen. Auch mehrere Feuerwehren waren im Einsatz. Verschüttete wurden gesucht. Sachgegenstände geborgen. Vieh musste notgeschlachtet werden. Es wurde zur bitteren Gewissheit, 11 Menschen fanden bei dem Bombenangriff den Tod:
Edwin Geiler * 13.11.1888 | Albin Hempel * 26. 7.1877 |
Toni Geiler * 30. 9.1890 | Martha Hempel *13.03.1884 |
Annemarie Geiler *25. 5.1915 | Josephine Gruber *25. 6.1904 |
Margret Geiler * 30. 9.1940 | Stefan Roth * 26. 6.1929 |
Gertraud Gebhardt *2. 6.1922 | |
Brigitte Gebhardt * 24. 7.1944 | |
Hugo Funke *16. 2.1903 |
Am 26. Februar fand in Lunzig im Gutshof eine Trauerfeier statt. Ein Bericht dazu erschien im Greizer Kurier. Worte des Gedenkens wurden gesprochen, aber auch Kampfparolen, wie »Die Trümmer mahnen uns, dass wir kämpfen sollen«, waren zu hören. Es war die Zeit, als das letzte Aufgebot an Menschen noch den Befehl erhielt, zu den Waffen zu greifen, um in den schon verlorenen Krieg zu ziehen. Auch Söhne der Bombenopfer waren im Krieg. Wie schwer mag es wohl für Helmut Geiler gewesen sein, als er nach Hause kam? Er hatte fast seine ganze Familie verloren und das Elternhaus lag in Trümmern. So musste er nun beginnen, sich eine neue Existenz aufzubauen. Anstelle der Gaststätte wurde von ihm ein Einfamilienwohnhaus errichtet. Der neue Gasthof »Zur Linde« ist erst viel später in der ehemaligen Dorfschule entstanden. Vom Schmiedemeister Hempel kehrte nur einer der beiden Söhne aus dem Krieg zurück. Er bewirtschaftete das Grundstück in den Nachkriegsjahren, baute das Haus aber nicht wieder auf. Die überlebenden Kinder aus Kroatien verloren Mutter und Bruder. Sie hatten nach der Flucht aus ihrer Heimat in Lunzig eine Obhut gefunden und zogen nach dem schrecklichen Geschehen mit einer Tante weiter. Wohin weiß niemand, keiner aus dem Ort hat mehr Kontakt zu ihnen. Sie teilen ihr Schicksal mit so vielen Flüchtlingen, die hier in Deutschland vom Krieg eingeholt wurden, sowie es auch Tausenden bei der Bombardierung Dresdens erging. So etwas darf sich nie wiederholen.